fragenundantworten:fua_ebenbildichkeit_201101

Über die Ebenbildlichkeit Gottes und des Menschen

M.G. aus B. schrieb:

In der Bibel steht, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei. Was bedeutet das?

Meine Antwort vom Januar 2011 geriet etwas länger…

1Mo 1,26-27 »Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.«

Schon in der frühen Kirchengeschichte wird um ein biblisches Verständnis der Formulierung »in/nach dem Bild Gottes, Gott ähnlich« aus 1Mo 1,26f gerungen: Uns liegt bereits von Irenäus (Jahr 126 nach Christus) ein Versuch vor, die Tiefe dieser Formulierung auszuloten; andere setzten die Forschung im Mittelalter und der Reformation fort. Die Frage nach der Bedeutung dieser Formulierungen (im Folgenden „Ebenbildlichkeit“ genannt) ist offensichtlich nicht mit einem kurzen Lösungssatz beantwortbar. Ich möchte daher im Folgenden die verschiedenen Lösungsvorschläge kurz vorstellen. Ich vermute, dass die Antwort auf unsere Fragestellung eine Teilmenge dieser Vorschläge darstellt. Die Ebenbildlichkeit kann und sollte keinesfalls verstanden werden als Gleichheit: Der Mensch ist kein Gott und gleicht diesem nicht in dem Sinne, dass er mit Gott identisch wäre. Sicherlich: Sowohl Gott als der Mensch sehen, hören, sprechen. Aber der Mensch stirbt, Gott nicht. Gott kann nicht gesehen werden, der Mensch schon. Der Mensch lügt, Gott nicht, der Mensch sündigt seit Eden andauernd, Gott nie und niemals. Auch wenn man berücksichtigt, dass zum Zeitpunkt der hier untersuchten Formulierung (1,26f) der Mensch noch nicht gesündigt hatte, sollte klar sein, dass Gott sich nicht etwa klonte, sondern der Schöpfer ein Geschöpf hervorbrachte, das ihm in einer noch herauszufindenden Art und Weise ebenbildlich ist.

Der Bericht über die Schöpfung des Menschen steht in einem Zusammenhang, der immer wesentlich ist für eine richtige Auslegung. Mit dem behandelten Vers stellt der Heilige Geist den Menschen als eine besondere Schöpfung heraus, deutlich hervorgehoben gegenüber den anderen Werken Gottes. Der Mensch wird nicht einfach zusammen mit den vielen anderen Lebewesen geschaffen, sondern an einem Extratag. Er wird nicht durch ein schöpferisches Wort Gottes ins Dasein gerufen; vielmehr fertigt Gott den Menschen in Handarbeit. Und erst mit dieser letzten Kreation wird alles, was Jahwe schuf, „sehr gut“. Aber das Ziel des Autors ist mehr, als nur den Menschen als Krönung der Schöpfung hervorzuheben (Ehrung). Der Text betont darüber hinaus, dass der Mensch Gott ähnlich ist und nach seinem Bild geschaffen wurde. Gott hat den Menschen also begabt, und aus der Begabung, so die These dieses Aufsatzes, folgt auch gleichzeitig eine Aufgabe. Gott schafft uns nicht einfach nach seinem Bild und ihm ähnlich, sondern er verfolgt damit Ziele. Damit betrachten wir mehr als nur eine dogmatische Frage! Beides, Ehrung (wie Gott uns ehrt) und Begabung (wie Gott uns begabt), sollen näher untersucht werden, damit sie uns zur Anbetung und zur Lebensweise anhalten, wie sie Gott für uns vorgesehen hat.

Das hebräische Wort für „[Eben]bild” kommt in der Bibel sehr selten vor. Seine sprachliche Herkunft/Entstehung ist eher unsicher und das erschwert die Auslegung dieser Bibelstelle. Es kommt 17-mal vor, und 10-mal bezieht es sich auf ein physisches Ebenbild, also eine Ähnlichkeit im äußeren Aussehen, z.B. Bilder von Beulen/Tumoren (1Sam 6,5), Bilder von Menschen (Hes 16, 17); und Götzenbilder (4Mose 33,52); zwei Passagen in den Psalmen vergleichen das Aussehen eines Menschen mit dem eines Bildes oder Schattens (Ps 39,7; 73,20). Die anderen Vorkommnisse kommen in 1Mose vor: 1, 26.27; 5, 3; 9, 6.

Der behandelte Text redet dreimal davon, dass wir nach dem „Bild” Gottes geschaffen sind (im Folgenden: „Ebenbildlichkeit“ genannt). Eine weitere Beschreibung ist, dass wir Gott “ähnlich” geschaffen sind (in diesem Abschnitt abgrenzend „Ähnlichkeit“ genannt). Die erste Auslegung sieht diese beiden Beschreibungen als eigenständig an, anstatt sie als unterschiedliche Formulierung für denselben Sachverhalt zu deuten. Diese traditionelle christliche Auslegung (Irenäus, ca. 180 n.Chr.) versteht unter Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit zwei unterschiedliche Aspekte der Natur des Menschen:

  • Die Ebenbildlichkeit bezieht sich auf die natürlichen Qualitäten im Menschen (Vernunft, Persönlichkeit, etc.).
  • Die Ähnlichkeit hingegen bezieht sich auf übernatürliche Gaben, z.B. ethische.

Während diese Unterscheidungen für die Wortverkündigung sicherlich hilfreich sind, drücken sie nicht wirklich die originale Bedeutung aus. Liest man 1Mo 5,3, stellt man fest, dass dort die beiden Begriffe austauschbar verwendet werden, und dem Sprachgebrauch damit eben nicht derart voneinander abgegrenzt werden können, wie es die erste Auslegung vornimmt. Das „uns ähnlich” ist einfach eine andere Ausdrucksform für „Bild”. Demzufolge wird diese Trennung in den folgenden Auslegungen nicht vorgenommen.

Die Ebenbildlichkeit beschreibt geistige und geistliche Fähigkeiten, die der Mensch mit seinem Schöpfer teilt. Das ist zunächst eine ganz naheliegende Aussage, aber es wird dann schwierig, die hiermit nun wirklich gemeinten Qualitäten zu bestimmen. Unter den vielen Vorschlägen: Das Ebenbild Gottes zeigt sich in der Vernunft des Menschen, in seiner Persönlichkeit, seinem freien Willen, eines Selbst-Bewusstseins oder seiner Intelligenz. Diese Deutung hat einen gewissen Charme und ist durchaus denkbar. Aufgrund der geringen Anzahl von Bibelstellen zu diesem Thema ist es allerdings nicht möglich, diese Vorschläge nachzuweisen (weder über Verifizierung noch über Falsifizierung). Jedenfalls besteht die Gefahr, dass der Ausleger seine eigenen Werte in den Text hineinliest, d.h. er sich menschliche Eigenschaften aussucht, in denen sich seiner Meinung nach die Ebenbildlichkeit ausdrückt – aber diese Vermutung wird über das Stadium der These nicht hinauskommen.

Diese Auslegung deutet die Ebenbildlichkeit nicht geistig oder geistlich, sondern physisch. Das wird dadurch gestützt, dass dies auch die gängigste Bedeutung des Wortes ist: Ein Bild sieht aus wie das Original, hat aber nicht seine inneren Werte und Potenziale. In 1Mo 5,3 wird von der Ebenbildlichkeit Adams und Seths gesprochen und das bedeutet natürlicherweise, dass Vater und Sohn sich sehr ähnlich sehen. Einige Ausleger sagen, dass genau das die richtige Deutung sei, andere hingegen halten sie für unmöglich. Der Bibelleser wird viele Bibelstellen auflisten können, in denen Gott scheinbar bestimmte physische Eigenschaften zugeschrieben werden und hiermit scheinbar diese Auslegung gestützt werden kann:

  • [Hi 40,9] Oder hast du einen Arm wie Gott, und donnerst du mit einer Stimme wie er?
  • [Ps 34,16] Die Augen des HERRN <sind gerichtet> auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.

Besteht die Ebenbildlichkeit also darin, dass er dem Menschen jene körperlichen Attribute gab, die er selbst hat? Hat also der Mensch einen Arm, zwei Augen und Ohren, weil Gott diese hat? Diese zunächst naheliegende Deutung wird schwierig aufrecht zu erhalten sein, wenn man das biblische Zeugnis berücksichtigt, dass Gott Geist ist (Joh 4,24). Deshalb bezeichnet die Theologie solche Beschreibungen als „Anthropomorphismus“: Damit wir etwas vom Wesen Gottes (besser) verstehen können, werden Begrifflichkeiten aus unserer Erfahrungswelt verwendet. Wenn Jesaja tröstet »Siehe, die Hand des HERRN ist nicht zu kurz, um zu retten, und sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören« [Jes 59,1], dann behauptet er nicht, dass Gott eine Hand habe, wie fast jeder Mensch eine Hand habe. Er verwendet das Wort Hand, weil jeder Mensch, wenn er helfend eingreifen will, dafür seine Hände benutzt – und Jesaja sagt: Egal, wo Du bist, egal, wie weit entfernt: Gottes Hilfe erreicht Dich immer. Bei genauer Betrachtung belegen Verse wie dieser, dass Gott ausdrücklich keine Physis hat wie wir – denn jede physische Hand ist irgendwann zu kurz. Ebenso ist es eine ziemlich erschreckende Vorstellung, 2Chr 16,9 wörtlich im physischen Sinne zu verstehen: „Denn des HERRN Augen durchlaufen die ganze Erde, um denen treu beizustehen, deren Herz ungeteilt auf ihn gerichtet ist.“ Jeder Bibelleser versteht, dass hier keine Sehorgane durch die Straßen kullern, um dann den Treuen beizustehen. Diese anthropomorphe Bezeichnung zeigt auf, dass Gott durchaus die ganze Welt beobachtet und seiner Hilfsbereitschaft nichts entgeht: Wie viel besser ist das als das, was unsere menschlichen Augen vermögen! Die Attraktivität dieser sympathischen Auslegung leidet zusätzlich daran, dass Gott hier ausdrücklich Mann und Frau nach seinem Bild schafft: Sowohl die sichtbaren als auch die verborgenen körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau stellen ein Problem für diese Auslegung dar. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn wir Gott eines Tages sehen können: Sehen wir dann eine Frau oder einen Mann?

Diese Auslegung betrachtet nicht die übertragenen Eigenschaften, sondern eher, was sich aus der Ebenbildlichkeit für den Menschen ergibt. Weil die Menschen in Gottes Ebenbild geschaffen wurden, sind sie seine Repräsentanten (Vertreter) auf Erden und sollen über die ganze Erde regieren. Ps. 8,4-8 gibt uns einen wunderbar poetischen Kommentar zu dieser Idee: »Wenn ich anschaue deine Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst? Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel, mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn. Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes.« Der Mensch muss aufgrund seiner Ebenbildlichkeit so regieren, wie Gott es tut – als Gottes Stellvertreter muss er dies zum Wohle der Schöpfung tun. Gott ermächtigt die Menschen, die Ressourcen der Welt zu nutzen, aber gibt keine Lizenz, die Schöpfung zu missbrauchen. Daher hat niemand in Führungsposition (der Regierende, der Ehemann, die Eltern, der Arbeitgeber usw.) eine Macht aus sich selbst – es ist nur abgeleitete Autorität. Die Ebenbildlichkeit macht den Menschen also zu Gottes Repräsentanten auf Erden. Eine solche Sichtweise war eine übliche orientale Sichtweise hinsichtlich ihrer Könige. Ägyptische und assyrische Texte beschreiben ihre Könige als „Ebenbild Gottes“ – als deren Stellvertreter und damit Bevollmächtigte. Sie durften regieren und der Rest der Schöpfung war ihnen untergeordnet, was offensichtlich eine königliche Aufgabe war (vgl. 1 Kö 5,4 [4,24], etc.), und Ps 8 spricht davon, dass der Mensch als ein klein wenig niedriger als die Engel geschaffen wurde, gekrönt mit Ehre und geschaffen um die Werke der Hände Gottes zu regieren. Eine weitere Überlegung ist, dass ganz oft das Bild als ein Repräsentant des Originals verstanden wurde: Götterbilder (Bilder und Statuen) wurden als Stellvertreter des eigentlichen Gottes verstanden. So baute sich Israel bekanntlich das Goldene Kalb aus dem Schmuck, den Aaron einsammelte. Sie fielen vor dem daraus gegossenen Bildnis nieder und beteten es an als den Gott, der sie aus Ägypten herausgeführt habe. Natürlich war den Israeliten klar, dass sie nicht durch die Menge eingeschmolzener Goldringe aus Ägypten herausgeführt wurden : dieses Kalb stand viel mehr als Repräsentant für jenen Gott, den sie anbeten wollten. Da in der Schriftauslegung der Kontext immer entscheidend ist, beachten wir, was direkt bei der behandelten Schriftstelle steht: »Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen!« (1Mo 1,26). Ist es nicht bezeichnend, dass Gott hier seine Herrschaft über seine Schöpfung auf den Menschen überträgt, „nachdem“ er ihn ebenbildlich geschaffen hat? Vielleicht sollte man den gesamten Vers als EINE Aussage sehen; Die Ebenbildlichkeit drückt sich gerade in der Herrschaftsübertragung aus, darin, dass der Mensch zum Repräsentanten Gottes in Eden (und „die ganze Erde“) wird. Diese Auslegung wird auch durch Vers 28 des Schöpfungsberichtes aus 1Mo 1 bestätigt: »Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, « - dieser Segen Gottes entspricht bis hierher wörtlich dem Segen, den Jahwe über den Fischen und Vögeln aussprach (Vers 22). Danach geht der Segen aber weiter und schließt auch die übrigen Tiere mit ein: »und macht sie <die Erde> <euch> untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!«. Nachdem Gott also die Menschen, Mann und Frau, ihm ebenbildlich schuf, ordnet er an, was er sich vorher (V.26) vorgenommen hatte: Er bestellt sie –einzig die Menschen- zu den Herrschern über die Erde.

Vertreter dieser Auslegung interpretieren die Ebenbildlichkeit als Fähigkeit des Menschen, mit Gott in Beziehung zu stehen. Der Mensch kann eine Beziehung zu Gott haben, mit ihm reden, ihn hören und mit ihm Bünde schließen bzw. sich diesen unterwerfen. Diese Sicht wurde besonders von dem deutschen Theologen Karl Barth vertreten. Damit bezieht sich die Formulierung „in unserem Bild” nicht auf das Ergebnis, also den Menschen, sondern auf die Tätigkeit beim Erschaffen: Hier käme eine spezielle Form der Kreativität zum Tragen, die den Menschen in eine einzigartige Beziehung zu seinem Schöpfer versetzt und daher ihn ermöglicht, auf ihn zu reagieren. „Ebenbild“ beschreibt damit weniger den Menschen in seinem Geschaffensein, sondern ist mehr eine Beschreibung des Schöpfungsaktes, der den Menschen so besonders macht. Diese Auslegung ist zwar etwas ungewohnt und wirkt kompliziert, ist sprachlich aber durchaus möglich. Aber andere Bibelstellen, z.B. 1Mose 5,3 und 2Mo 25, 40, deuten doch eher an, dass es bei der Ebenbildlichkeit doch eher um das Ergebnis und nicht um den Prozess geht, also um eine Beschreibung des Geschaffenen und nicht des Schaffens. Wäre nur diese Auslegung zutreffend, fragt man sich, welche Bedeutung sie für den Menschen hat. Welche herausragenden Eigenschaften sind damit dann verbunden – Eigenschaften, die den Menschen von anderen Schöpfungen, allen voran den Tieren, besonders auszeichnen. Beachte: Nur der Mensch, nicht aber die Erde, die Sonne, die Pflanzen oder die Tiere sind gott-ebenbildlich geschaffen. Sicherlich ist es richtig, dass der Mensch in Beziehung zu seinem Schöpfer stehen kann, aber dies ist auch in der zweiten und vierten Auslegungsmöglichkeit der Fall. Aber braucht es eine vierfache Betonung (3x „Bild“, 1x „ähnlich“), um Beziehungsfähigkeit auszudrücken? Warum wird innerhalb dieser Beschreibung der Beziehungsfähigkeit die Herrschaftsübertragung festgehalten (in Vers 27 wird erneut die Ebenbildlichkeit betont und diese Wiederholung bildet die abschließende Klammer)?

Die Auslegungen zwei und vier bieten meines Erachtens besonders gute Beiträge für ein Verständnis des Themas: Indem Gott sich entschied, den Menschen nach seinem Bild und ihm ähnlich zu schaffen, machte er ihn zum Vizeregenten auf Erden. Die von mir aufgestellte These, die sich nicht expressiv verbis aus dem Bibeltext ergibt, meines Erachtens aber gut von der Schrift gedeckt ist, lautet: Gott gibt nicht nur eine Aufgabe, sondern schenkt damit verbunden auch die erforderliche Ausrüstung. Diese Ausrüstung besteht in mannigfaltigen Fähigkeiten, die den Menschen deutlich über die restliche Schöpfung, insbesondere die Tierwelt erheben. Das sind neben etlichen praktischen auch insbesondere geistige Fähigkeiten. Drei weitere Beispiele solcher Fähigkeiten sollen hier genannt sein: abwägendes Durchdenken, planerisches Vorgehen, schöpferische Taten. Letztere ist eine besonders herausragende Fähigkeit, die der Mensch durch die Ebenbildlichkeit erhielt: Der Mensch kann Neues erfinden.

Der Mensch hat ebenso die Fähigkeit, ethische Entscheidungen zu treffen; die Existenz des Gewissens ist ein wichtiger Beweis hierfür (Röm 2,15). Hiermit treten wir in die große Problematik ein, die in 1Mose 3 –direkt nach den Schöpfungsberichten! – ihren Anfang nimmt: Der Mensch kann seine Fähigkeiten auch zum Bösen einsetzen. Wie viel Leid wurde über Menschen und die Welt gebracht, indem der Mensch die o.g. Fähigkeiten „abwägendes Durchdenken, planerisches Vorgehen, schöpferische Taten“ zum Bösen einsetzte – nicht zur Bewahrung, sondern zur Zerstörung der Schöpfung oder Teilen davon. Erwägen wir, wie viele Verbrechen auf persönlicher und nationaler Ebene nicht möglich wären, wenn Gott dem Menschen die drei genannten Fähigkeiten nicht mitgegeben hätte. Damit soll hier keineswegs Gott eine verursachende Schuld zugewiesen werden; das sei ferne! Vielmehr wird die Verdorbenheit des Menschen besonders deutlich. Aus der Aufgabe, als Repräsentanten zu fungieren, folgert aber auch die Fähigkeit, mit Gott in Beziehung zu stehen und zu treten. Beachten wir hierbei aber, dass die Ebenbildlichkeit keine Errungenschaft des Menschen war, sondern dass Gott dies für sich so beschlossen hat; Stolz ist demnach unangebracht. Eine ethische Auswirkung der Ebenbildlichkeit soll hier nur kurz erwähnt werden: Weil der Mensch Gottes Ebenbild ist, ist jeder Anschlag auf einen Menschen ein Angriff auf Gott und zieht höchste Strafen nach sich (siehe Mordverbote im Allgemeinen, aber alttestamentliche Tötungsgebote gegen Ungläubige).

Bedenken wir, dass die Ebenbildlichkeit am sechsten Schöpfungstag bestand. Einige Zeit später, wir wissen nicht, ob es sich um Tage, Wochen oder gar Jahre handelt, entschied sich der Mensch (Mann und Frau), der lügnerischen Versuchung der Schlange zu folgen: „ihr werdet sein wie Gott, erkennend Gutes wie Böses“ (1Mo 3,5). Hierzu wäre ein weiterer Beitrag erforderlich, um die Bedeutung dieser Aussage und die Konsequenzen des Sündenfalls zu erarbeiten. Jedenfalls hat die Ebenbildlichkeit des Menschen deutlich unter dem Sündenfall gelitten. Ob dies zur gänzlichen Verwerflichkeit oder nur zur teilweisen Verderbnis des Menschen führte, ist eine der entscheidenden Grundfragen sehr bekannter dogmatischer Modelle. Diesen Weg wollen wir hier nicht beschreiten, sondern uns stattdessen auf Gottes Plan und Absichten besinnen: Gott schuf zuerst die Tiere – dann den Menschen. Wenn der Heilige Geist also den Wunsch Gottes herausstellt, den Menschen nach seinem Ebenbild zu gestalten, dann heißt das: Er wird es anders als beim Tier machen. Wenn der Evolutionsglaube sagt, dass der Mensch vom Affen und dessen Vorformen abstammt, dann ist das mit der Bibel allein schon deshalb nicht vereinbar, weil der Affe in 1Mose nicht erwähnt wird und es weder bei ihm noch bei irgendeinem anderen Tier oder Amöbchen heißt, dass es nach dem Ebenbild Gottes und gottähnlich geschaffen wurde. Um im Stil der heutigen Industrie zu sprechen: Beim Menschen wurde eben nicht die Affenschablone, sondern eine ganz eigene Vorlage verwendet; der Mensch ist kein neueres Modell, hervorgegangen aus vorangegangenen Produktionen, er ist kein Upgrade, kein „Lebewesen 2.0“ - sondern er ist eine eigene Schöpfung ohne vorangegangene Entwicklungsstadien – und die Vorlage war der perfekte Gott. Das adelt den Menschen, fordert ihn aber auch und stellt ihn in Verantwortung. Denn trotz dieser Ähnlichkeit und Ebenbildlichkeit ist der Mensch doch so weit von Gott entfernt. Die einzige wirkliche Gottgleichheit finden wir in Jesus Christus, der von sich sagt: »Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat« (Gott-Vater, Joh 12,45). Von welchem anderen Menschen kann dies gesagt werden? Konkret: Kann das von dem Schreiber und den Lesern dieses Aufsatzes gesagt werden? Gott zeigt seinen Anspruch an den Menschen auf, indem er ihn ebenbildlich schafft. Wie das Antlitz des Königs auf der Münze drückt Gott seiner Schöpfung seine Ebenbildlichkeit auf und drückt damit seinen Anspruch aus. Die Münze gehört dem König. Der Mensch gehört Gott.

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