fragenundantworten:griechisch

Am griechischen Text ohne Sprachkenntnisse arbeiten?

M.S. aus G. schrieb:

Kannst du mir einen Tipp geben? Wenn man einzelne Wörter im NT näher untersuchen möchte, ohne Griechisch zu können… was würdest du empfehlen?

„Wenn man einzelne Wörter im NT näher untersuchen möchte, ohne Griechisch zu können“… hm, meine Antwort wird wohl lang werden. Bitte ggf. nachfragen, wenn etwas unklar oder womöglich zu schroff wirkt… Warum „schroff“?: Ich werde erst einmal dagegen halten, aber dann sozusagen als Gegenpol ein paar Tipps geben :)

An einer alten Sprache zu arbeiten, ohne sie zu kennen, ist gefährlich. Wie nannte man noch die Leute, die sich als Ärzte ausgaben, aber nicht wirklich Ahnung von Medizin hatten? Kurpfuscher, Quacksalber. Wie viele Leute rannten nach der Deutschen Wende als „Versicherungsvertreter“ durch die Gegend und verkauften ihre Finanzprodukte ohne wirklich Ahnung zu haben. Schlimme Schicksale entstanden. Das alte Wort Scharlatane beschreibt Leute, die vorgeben von etwas Ahnung zu haben, es aber nicht haben. Einer meiner Lehrerkollegen an der Bibelschule meinte über sich: „Ich kann jetzt soviel Griechisch, dass ich anfange gefährlich zu werden.“ - eine solche selbstkritische Sicht fand ich toll! Und: Der Satz gab mir zu denken.

Mir ist mehr als eine Predigt in Erinnerung, wo jemand, der kein ausgewiesener Koine-Kenner war, starke Stücke über den Grundtext behauptete (Koine ist jene Form des Griechisch, in dem das Neue Testament verfasst ist). Und je nach Rhetorik und Sympathie glaubte ihm die Gemeinde. Und dabei sprach er über das Wort Gottes, also eine äußerst heilige und sensible Gabe des Heiligen Geistes! Die Geschichte ist voller Beispiele, wo jemand dem Wort Gottes auferlegen wollte, was es eigentlich zu bedeuten habe. Das nennt man Eisegese (Hineinlegung), statt Exegese (Auslegung). Die Leute hören „der erklärt was vom Griechischen her“, und sind nicht mehr in der Lage, zu überprüfen. Kurzum: Ich bin mindestens „kritisch“ eingestellt, wenn so etwas geschieht.

Allerdings arbeite auch ich am griechischen Text: fast immer in der Predigtvorbereitung über einen neutestamentlichen Text gehe ich vom Grundtext aus. Und ich selbst bin trotz meines kleinen Theologiestudiums, das auch Koine-Griechisch umfasste, sehr vorsichtig mit Aussagen, die den gängigen Übersetzungen und der Auslegungsgeschichte (!) widersprechen: Nur ein Vollpfosten ist von seiner Weisheit überzeugt :-O Ich benutze hierfür etliche Tools, die ich mir im Studium angeschafft habe. Sie ermöglichen es mir, in wenig Zeit ziemlich viel Fachliteratur zu konsultieren (es ist schon faszinierend, was man heute mit Computern hinbekommt, wo man früher stundenlang in der Bibliothek blätterte und zusammenstellte).

Wenn man grundtextnahe Bibelübersetzungen nebeneinander legt, kommt man schon recht nah an die Bedeutung der Grundtexte heran: Nimm eine alte und eine neue Elberfelder (inkl. Fußnoten), nimm Luther, nimm Schlachter und Du hast schon ein gutes Wortfeld, aus dem Du die „semantische Breite“ des zu analysierenden Wortes erkennen kannst. Aus dem Zusammenhang (Kontext) des Wortes musst Du Dich ohnehin (wie auch der Griechischkenner) dann für eine Bedeutung entscheiden (context is king!). Womöglich stellst du Deinem Zuhörer das mögliche Wortfeld vor, damit er selber einen runderen Eindruck von der Bedeutung des Wortes bekommt.

Wenn Du tatsächlich ins Griechische wechseln willst, entsteht das Problem, dass Wörter in laufenden Texten selten in ihrer Grundform stehen. Da steht dann „Adam hat ein Lied gesungen“ (ausgedachter Beispieltext) - unter welchem Wort willst in einem Wörterbuch nachschauen, wenn Du die Bedeutung des Wortes „gesungen“ finden willst? Als Deutscher weißt Du: Der Infinitiv (die Grundform eines Verbs) von „hat gesungen“ lautet „singen“ - das kannst Du dann im Wörterbuch nachschlagen, aber ohne dieses Wissen bist Du aufgeschmissen. Und da das Ganze dann auch noch in griechischen Buchstaben steht und dort mitunter zwei Buchstaben zu einem (anders aussehenden) Laut verwachsen, bist Du schnell raus! Also ganz ohne Grundkenntnisse ist es echt schwer.

Bitte verstehe mich richtig: Ich will Dich keineswegs abschrecken, sondern nur aufzeigen, dass es keineswegs eine simple Geschichte ist! Ich kann jedem nur empfehlen, wenigsten die Grundlagen der Sprache zu erlernen, das gibt dann auch einen Einblick in Ausdrucksweisen, die das Deutsche so überhaupt nicht hat, der Grieche aber durchaus verwendet (ich spiele hier auf bestimmte Zeitformen an, die das Deutsche nicht bietet).

Es bringt Dir also nichts, wenn Du Dir ein Neues Testament auf Griechisch kaufst - der Sprung vom dort stehenden Wort ins Lexikon ist Dir einfach nicht möglich. Auch eine sogenannte Interlinear-Übersetzung hilft Dir nicht, weil dort einfach nur deutscher und griechischer Text untereinander stehen - aber auch hier kannst Du aus demselben Grund auf kein Wörterbuch zurückgreifen.

Ein Beispiel anhand eines bekannten Bibeltextes soll das bislang genannte verdeutlichen:

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  • Die oberste Zeile (fett gedruckt) gibt den Luther1984-Text wieder. Den verstehen wir :)
  • Die Zeile direkt darunter gibt den griechischen Text wieder. (Die verschiedenen Zahlen deuten an, dass manche Wörter, die im Deutschen vorne stehen, im Griechischen eventuell erst später dran kommen.)
  • Die Zeile darunter (ebenfalls griechisch) gibt die Grundform des Wortes wieder. Betrachte das markierte Wort „gab“: Dort steht in Zeile 3 δίδωμι (sprich: didomi) als Grundform für das eigentliche Wort darüber (welches man edoken ausspricht). Man hat als Nichtkenner der Sprache keine Chance zu erkennen, dass man didomi im Wörterbuch suchen muss, wenn edoken im Grundtext steht! Das ist im Deutschen genauso: Die Grundform von „gab“ heißt „geben“ - sieht also anders aus.
  • Die vierte Zeile ist ebenso wichtig: Sie beschreibt (nicht nur für den Anfänger wie mich eine Spitzenhilfe) die Form des Worts. Bei „gab“ steht: VAAI3S, was bedeutet: Verb im Aorist Activ Indikativ 3. Person Singular. Super, wenn man die Grundlagen der (griechischen) Grammatik kennt; allerdings kaum eine Hilfe, wenn man damit nicht so vertraut ist.

So, spätestens jetzt habe ich Deine Frage deutlich zu lang beantwortet und komme sehr klugscheißerisch daher. Bitte nimm es mir nicht krumm. Bedenke bitte, was ich eingangs schrieb: Es wurde zu viel Schindluder getrieben! Daher ist mir lieber, wenn Brüder ihre deutschen (grundtextnahen!) Bibelübersetzungen nebeneinander legen und wie das „gemeine Kirchenglied“ darüber nachsinnen. Unsere Übersetzungen wie Elberfelder, Luther (1984) und Schlachter 2000 sind heutzutage sehr, sehr gut. Das ist eine große Gnade Gottes! Studiert den deutschen Text gründlich im Kontext der gesamten Schrift und Ihr werdet geistreiche Predigten halten.

Aber Deine Frage habe ich immer noch nicht beantwortet. Was kann ich empfehlen, falls Du doch in aller Vorsicht zum Griechischen greifen willst?

Siehe die Abbildung oben: In der fünften Zeile stehen sogenannte „Strong’s Numbers“. Da hat im 19. Jahrhundert jemand (einfach ausgedrückt) alle biblischen Wörter in ihren Grundformen durchnummeriert und an den Bibeltext rangeschrieben. Bei dem Wort „gab“ im Beispiel steht „1325“. Das heißt, dass das griechische Grundwort didomi die Nummer 1325 hat. An allen Stellen im NT, wo didomi verwendet wird, steht die Nummer 1325 – und zwar egal, in welcher Beugungsform (bei Verben wäre das z.B.: Vergangenheit, Zukunft, Leidensform und und und). Nun braucht man also im zweiten Schritt nur noch ein Wörterbuch, in dem man nach eben dieser Nummer blättern kann - und bekommt dann (ohne Griechischkenntnisse) weitere Übersetzungsmöglichkeiten. Hierzu gibt es in den modernen Zeiten auch im Internet Hilfen. Ein Beispiel: Hier ist der Link zu Nummer 1325: https://www.bibelkommentare.de/index.php?page=studybible&strong=G1325.

  1. Dasselbe Konzept kannst Du auch in manchen Studienbibeln wiederfinden, zum Beispiel der „Elberfelder Studienbibel: Revision 2006 - mit Sprachschlüssel und Handkonkordanz“ - ein dicker Klopper, nicht so sehr für den Gottesdienstbesuch geeignet, aber durchaus für den Studiertisch.
  2. Durchaus leichter (und von mir gelegentlich auch in die Gottesdienste mitgenommen) ist dieses Buch „Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament“ von Fritz Rienecker. Ich ehre Fritz Rienecker, aber wenn Du Dir eher etwas für den Schreibtisch suchst, würde ich die Studienbibel bevorzugen.
  3. Heinrich von Siebenthal (renommierter Sprachkenner der Freien Theologischen Hochschule in Gießen) hat ein Werk herausgegeben: Neuer sprachlicher Schlüssel zum griechischen Neuen Testament: Matthäus bis Offenbarung. Das dürfte „moderner“ sein als das Buch von Fritz Rienecker… vermutlich aber auch tiefer und nicht mehr so transportabel. Ich besitze es selber nicht, aber es wird im Netz sehr gelobt und von Siebenthal steht für Qualität.

Mit einem dieser Werke kommst Du also deutlich tiefer in die Sprache rein, die Gott für die Verfassung des Evangeliums wähnte.

Dein Ansgar

P.S. Die gedruckten Werke, die ich hier anspreche, kannst Du gerne auch bei mir bestellen. Sende eine Email an medien@diakonos.eu.

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  • Zuletzt geändert: 2020/08/19 21:39
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